In eigener Sache - Oder doch mehr?
Es fühlt sich gut an diese Zeilen hier zu verfassen.
Es hat etwas Meditatives. Sich die Zeit zu nehmen, um etwas zu tun, was einem
persönlich etwas gibt. Etwas, das keinen unmittelbaren Zweck erfüllt, für
meinen Lebenslauf, meine Vita oder meinen künftigen Werdegang. Es ist, als
würde sich ein Kreis um mich schließen, in dem ich für einen Moment allem
entkommen kann. Und realisiere, dass ich meiner Umwelt etwas mitzuteilen habe,
was ein gewisses Gefühl von Reichtum in mir auslöst.
Monatelang herrschte Stille auf meinem Blog, da ich
zuletzt eine der stressintensivsten Phasen meines bisherigen Lebens hinter mich
gebracht habe. Irgendwie war ich in eben das Hamsterrad geraten, das ich in
meinen vorherigen Einträgen stets angeprangert und verteufelt hatte. Die harte
Schule des wahren Lebens zeigte mir wie es ist, wenn man sich für einen
Billiglohn mit mehreren Jobs abstrampeln muss, um sich über Wasser zu halten.
Selbiges stieg in dem Maße immer mehr Richtung Hals, in dem ich versuchte meine
Masterarbeit meinen eigenen Ansprüchen genügend zu beenden. Das macht man dann
so lange, bis alles um einen rum zu wanken beginnt, man sich immer weiter ins
Zeug legt, nur um irgendwann zu bemerken, dass man an so vielen Fronten
gleichzeitig kämpft. Und im Endeffekt keiner davon richtig gerecht werden kann.
Existenzängste nehmen die Luft zum Atmen und führen zu gnadenloser Raubbau, so
viel habe ich nun gelernt. Plötzlich verharrt man, nur um sich zu fragen: "Wie
zur Hölle bin ich hier nur reingeraten?"
Es kommt einer
Offenbarung gleich, wenn man erkennt, wie sehr Ängste - wie etwa die um die
nackte Existenz - unser tägliches Handeln steuern. Sie treiben uns still und
leise an, ohne dass wir uns Zeit erlauben, um unsere aktuelle Lage zu
reflektieren. Was machen meine Lebensumstände und gesellschaftlichen Einflüsse
mit mir? Warum handle ich wie ich handle, warum reagiere ich so und nicht
anders?
Bei diesen Überlegungen ist es von zentraler Bedeutung
zu erkennen, dass es nicht nur diese eine Realität gibt, so wie wir sie aus
unserer subjektiven Perspektive wahrnehmen. Denn prinzipiell ist unsere Sicht
der Dinge häufig zunächst nur ein Zerrbild, das von der individuellen
Interpretation eines jeden anderen Menschen relativiert wird.
Angst essen Seele auf - Zusammenhänge erkennen
Täglich wird versucht uns weißzumachen, dass es nur
eine Realität gibt: Die Realität des übermenschlichen Selbstoptimierers, der
die Karriereleiter hoch sprintet, vor der Arbeit zum Sport geht und am Abend
gediegen mit all seinen Freunden in schicken Bars abhängt. Er lebt auf der
glitzernden Seite der Gewinner, die uns allerorts wie die sprichwörtliche Wurst
an der Leine vorgehalten wird und der es hinterher zu hetzen gilt. Alles um uns
rum scheint zu schreien:
"Hol dir die Wurst! Wenn du sie nicht erreichst, ist es allein deine Schuld.
Du rennst eben nur nicht schnell genug!"
Auch die sozialen Netzwerke nehmen eine wichtige Rolle
bei der Produktion dieses Trugbildes ein. Jedermann muss jedem die Bilder
seiner genialen Reisen, lässigen Trips und individuellen Freizeitaktivitäten
unter die Nase reiben. Die Summe dieser visuellen Gemächtsvergleiche erwartet
uns alsdann in unserem Newsfeed, der nur den einen Schluss zulassen kann: Ich
renne scheinbar nicht schnell genug.
Auf der anderen Seite des Zerrbilds gibt es nur eine
Emotion, auch wenn sie geschickt verpackt ist: Angst. Diffuse, bedrohlich
zischelnde Angst. Angst vor sozialem Abstieg, vor Krankheit, vor Übergewicht
oder Alterung. Die Angst, nicht zu funktionieren.
"Hier im Westen sind wir frei, wir müssen nichts, nur funktionieren."
Auch dieses Zitat ist mal wieder aus einem Lied, denn
abseits des Mainstreams gibt es so unendlich viel gute Musik, die mir beim Hören
nahezu immer neue Perspektiven aufnötigt. Das Obige hat meine Sichtweise auf
unsere Gesellschaftsform wirklich stark beeinflusst und stammt aus diesem Lied
(am besten im Vollbild mit Video auf sich wirken lassen):
Es scheint als sei diese Angst insbesondere in unserer
deutschen Kultur verwurzelt zu sein. Nicht umsonst ist die "German Angst" ein fester Bestandteil des
englischen Wortschatzes. In den Nachrichten höre ich seit ich denken kann
Politiker das immer selbe Mantra wiederholen. Sie wollen "unseren
Wohlstand mit aller Macht sichern/verteidigen". Schön und gut, aber man
wird das Gefühl nicht los, dass sich hier stets alles nur um
Besitzstandssicherung dreht. Doch die Substanz nimmt immer weiter ab,
beziehungsweise wandert eben diese in die Taschen einer immer geringer
werdenden Anzahl von Menschen. Der Teufel erleichtert sich eben immer
auf den größten Haufen.
Zuversicht und Gestaltungswille sind hingegen so rar
wie gepackte Dateien, gleiches gilt für das Vertrauen in eigene Fähigkeiten.
Dabei sind wir doch das Land, das von der europäischen
Dauer-Schuldenkrise am meisten
profitiert. Der Dax marschiert unaufhaltsam, inzwischen fünfstellig, die Arbeitslosenquote verzieht sich in den
Keller. Trotzdem
überall Bedrohung und Angst.
Pöbelherrschaft oder Gestaltungswillen?
Und hier, genau hier schließt sich der Kreis zu meinem
letzten Beitrag über geflüchtete Menschen aus aller Welt. Anstatt eine
Herausforderung anzunehmen wird Angst geschürt, und sie trifft bei ich-will-nicht-wissen-wie-vielen
Bürgern besorgtester Art auf offene Ohren. Es wird gehetzt und gezetert,
besoffene Heere Rechter kommen aus ihren Löchern und zeigen das hässliche
Gesicht unseres Landes. Wisst ihr noch? Deutschland: Die Welt zu Gast bei
Freunden und so. Diese – vorsichtig gesagt – Bildungsverweigerer ignorieren
dabei einen zentralen Fakt: dass soziale Gerechtigkeit der Kitt einer modernen
Gesellschaft ist, nicht etwa überkommende, konservative Nationalgefühle. Dazu
dieses bereits viel gezeigte, aber doch unschlagbar treffende Gleichnis:
Quelle: http://41.media.tumblr.com/a07abf519fd8bd827b11e890d494cbbc/tumblr_n1nj18UmoS1qa5w4eo1_500.jpg |
Manchmal versuche ich mir vorzustellen, was hier los
wäre, wenn wir mit katastrophalen wirtschaftlichen Entwicklungen wie etwa in
Griechenland konfrontiert wären. Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Mob
mit Fackeln und Heugabeln, aufgestachelt von der BILD, zuerst den Staatsstreich
proben würden wie in München 1923, um dann möglichst schnell dazu überzugehen,
einen X-beliebigen Sündenbock die Schuld zuzuschieben und einen Angriffskrieg
zu starten.
Klar übertreibe ich, aber ich bin mir sicher: Zivilisierung
ist nichts als eine feine Legierung. Eben das können wir doch tagtäglich bei Facebook
beobachten. Keine Angst, ich will das hier nicht auch noch auswalzen, das wurde
- glücklicherweise - bereits von einer großen Bandbreite gesellschaftlicher
Akteure getan. (So von Anja Reschke, Joko und Klaas oder sogar - sonst nicht unbedingt
als hellste Kerze im Leuchter bekannt - Til Schweiger)
Würde der gemeine Deutsche die Zeit, die er mit
meckern und palavern vergeudet, in irgendeiner Form in eine gesellschaftlich
konstruktive Tätigkeit investieren, so würde aus dieser Nation wahrscheinlich
ein blühender Garten Eden werden, in dem Milch und Honig fließt.
Oder ohne Übertreibung: Würde man nur einen Abend der Woche, an dem man faul
auf der Couch aalt, für ein Ehrenamt aufwenden, dann würden wir ein Stück mehr
Kontrolle über unsere zukünftige Gesellschaft gewinnen. Sei es angesichts der
aktuellen humanitären Notlage für Geflüchtete, um ihnen eine faire Chance zu
geben perspektivisch ein konstruktiver Teil der Gemeinschaft zu werden. Oder
sei es für anderweitig sozial Benachteiligte wie etwa Obdachlose, die ja nun in
der Argumentation vieler Rechter Konsorten herhalten müssen, um die "Das
Boot ist voll"-Rhetorik zu bestärken. Und die genau diesen Konsorten
vorher stets kalt am Allerwertesten vorbeigingen.
Niemand braucht sich Illusionen zu machen, ein
Großteil der Menschen wird dank des im Grundgesetz verbrieften
Rechts auf Asyl bei uns
bleiben dürfen. Wir sind Zeugen einer Völkerwanderung, die sich nicht durch Mauern und Zäune aufzuhalten lassen wird. Diese Bilder sprechen Bände.
Wir können uns also entweder weiter in
Grundsatzdiskussionen mit einer plärrenden Minderheit verstricken, oder aber
wir ergreifen - wie bereits erfreulich viele Menschen - die Initiative und tun
unseren Beitrag dazu, dass die Schutzsuchenden die Möglichkeit erhalten etwas
zu eben diesem Wohlstand beizutragen, den die zur Zeit verdächtig stillen
Politiker sonst immer verteidigen wollen.
Over and out.
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